Der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum Mord an Dr. Walter Lübcke (UNA 20/1) hat heute – neben anderen Zeugen – den ehemaligen Präsidenten des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) und derzeitigen Fraktionsvorsitzenden der CDU Darmstadt, Roland Desch, vernommen. Ein Schwerpunkt war dabei der Verlust wesentlicher Informationen über den inzwischen rechtskräftig verurteilten Mörder von Dr. Lübcke, Stephan Ernst, der durch einen Personalwechsel im Amt entstand. Offenbar übernahm Desch das Amt von seinem Vorgänger ohne gründliche Übergabe der Geschäfte.
Als Desch im Jahr 2010 ins Amt des Präsidenten des hessischen Verfassungsschutzes kam, wurden nicht sämtliche erforderliche Informationen verfügbar gemacht, die für die fachliche Führung einer derart sensiblen Sicherheitsbehörde notwendig sind. Die mangelnde Sorgfalt bei der Amtsübergabe resultierte letztlich in einer gewissen Orientierungslosigkeit des gesamten Verfassungsschutzapparates und seines Präsidenten. Der Zeuge Desch sagte aus, dass er wesentliche Akten über die rechtsradikale Szene in Hessen nie zu Gesicht bekommen habe.
Als Ende 2011 die Existenz des NSU offenbar wurde, war das LfV ebenso überrascht wie das Innenministerium unter dem damaligen Innenminister Boris Rhein. Die uninformierte Behördenleitung erkannte nicht, welches rechtsextremistische Gefährdungspotential sich gerade in Nordhessen aufgebaut hatte. Die so unter Beweis gestellte kollektive Ahnungslosigkeit, die schon damals bei den wichtigsten hessischen Sicherheitsbehörden herrschte, ist Ergebnis einer inkonsequenten und unzureichenden Beobachtung und Ausforschung der rechtsextremen Szene des Landes. Aus den vorliegenden Informationen zog das LfV die falschen Schlüsse – bis hin zur katastrophalen Fehleinschätzung, der zuvor mehrfach als rechtsextremer Gewalttäter aufgefallene und verurteilte Stephan Ernst sei „abgekühlt“ und stelle keine Gefahr mehr dar.
Die Arbeit des hessischen Verfassungsschutzes war – das wurde heute und in vielen Zeugeneinvernahmen davor leider sehr deutlich – über lange Zeit mangelhaft, man könnte auch sagen: unprofessionell.
Die politische Verantwortung dafür tragen die wechselnden CDU-Innenminister seit 1999, also Volker Bouffier, Boris Rhein und Peter Beuth, von denen sich aber bis heute keiner zu seiner Verantwortung bekennt.